Gedanken zur Ausstellung im Kesselhaus KINDL, Berlin-Neukölln
Wer das 20 Meter hohe Kesselhaus betritt, taucht sogleich ein in einen anderen Raum: das riesige Gebäude ist völlig erfüllt von rotem Licht. Man fühlt sich von Rot umgeben, als wäre man unter Wasser. Es ist ein Rot wie Blut. Ein Rot wie der Teufel. Wo bin ich? In der Hölle? In einem Erotik-Club? Im Inneren eines Leibes? Es ist ein Rot wie die Gewandfarbe der Monarchen und Kardinäle, die Farbe der weltlichen und kirchlichen Macht. Unsere Stimme senkt sich unwillkürlich zu einem Flüstern.
Der hochkant stehende riesige Quader ist geräumt bis auf Reste von für die vormalige Fabrikation notwendige Vorrichtungen aus Metall und Kunststoff. Sie wirken wie Zeichen, Überreste einer unbekannten Sprache, die wir Heutigen nicht verstehen können. Sind es Prophezeiungen? Warnungen? Mahnungen? Weissagungen? Gebote? Verbote? Die Zeichen sind wie eine Sprache, die für uns zu lesen nicht bestimmt ist. Mit Inhalten, die gleichwohl uns betreffen.
Der Chile Alfredo Jaar hat das gigantische Kesselhaus in einen sakralen Ort verwandelt. Hier kommen die Mächtigen der Welt zusammen, um einen winzigen, glänzenden Würfel anzubeten, der von Panzerglas gesichert ist. Sie tanzen ums goldene Kalb, Pandora klappert mit ihrer Büchse den Takt dazu.
Der Würfel besteht aus kleinen, quadratischen Plättchen bedeutender Metalle, die benötigt werden, um Smartphones, Computer oder Autos herzustellen. Der Abbau dieser Metalle an den Orten ihrer Herkunft führt für Menschen und Landschaft zu schweren Schäden. Der Würfel und die Zeichen an den Wänden stehen in Verbindung. Es geht um nichts weniger als unser Leben, um Zerstörung und Selbstzerstörung. Wir sind Midas, dem alles zu Gold wurde, was er berührte.
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Alfredo Jaar: The End of the World, KINDL Kesselhaus, 15.09.2024 – 01.06.25