Alte Grabsteine an der Turiner Straße

An der Turiner Str. 9–17 liegt ein Friedhof. Er wurde 1866 angelegt und ist unter dem Namen Garnisonsfriedhof bekannt. Hunderte Grabstätten erinnern an getötete Soldaten des Ersten (1914–1918) und des Zweiten (1939–1945) Weltkrieges. Sie erinnern durch rechteckige, steinerne Bodenplatten, die, jede für sich, in eine schmale, steinerne Umfassung eingelassen wurden. Zu lesen sind darauf die Namen der Toten, der Tag ihrer Geburt und der Tag ihres Todes. Es stehen aber auch das erste und das letzte Jahr des Krieges darauf. Wie die lebenden Soldaten einst in Reih und Glied standen, so sind auch die Grabplatten in Reih und Glied angeordnet.

Es gibt auch ein Denkmal für deutsche Soldaten – eine quadratische Stele. Die Berliner Sektion des Deutschen Kriegerbundes hat sie 1889 errichten lassen. Sie würdigt getötete Soldaten der Einigungskriege 1866 und 1870/71. Die Weddinger Sektion des Kyffhäuserbundes hat später Texte zum Gedenken an getötete Soldaten der beiden Weltkriege auf die noch freien Seiten der Stele aufnehmen lassen. Der Gedenkspruch für die Toten des Ersten Weltkrieges „Blüh’ Deutschland, überm Grabe mein, jung, stark und schön als Heldenhain!” entstammt dem Gedicht „Dankesschuld“ des Schriftstellers Walter Flex (1887–1917). Die Verszeile “Deutschland muß leben, und wenn wir sterben müssen!“ für die Toten des Zweiten Weltkrieges ist dem Gedicht „Soldatenabschied“ des Dichters Heinrich Lersch (1889–1936) entnommen.

Es gibt außerdem ein Denkmal für französische Tote: 1908 ließ die Französische Philantropische Gesellschaft zu Berlin ein metallenes Kreuz aufstellen; eine Steinplatte zu Füßen des Kreuzes erinnert an die während des napoleonischen Feldzuges von 1813 getöteten Soldaten. Und es gibt etliche alte Grabsteine, die variantenreich gestaltet sind. Die meisten Grabsteine sind hoch, schmal und haben eine rechteckige Form. Manche Vorderseiten sind rau, manche sind glatt geschliffen. Und manche sind mit Ornamenten verziert. Die Buchstaben der Inschriften sind zumeist in die Steine eingemeißelt worden, manchmal wurde die Inschrift golden getönt, selten wurden metallene Buchstaben auf die Vorderseiten aufgesetzt. Die Schriftarten sind rundlich oder kantig, stark verschnörkelt oder gradlinig.

Die Inschriften enthalten viele Angaben. Man liest die Namen und die Geburts- und Todesdaten, gelegentlich erfährt man den Beruf oder die militärische Funktion des Verstorbenen. Die Inschriften weisen auch Charakterisierungen der überwiegend männlichen Verstorbenen und ihr Verhältnis zu den Familienangehörigen auf. Im Krieg getötete junge Söhne wurden als „hoffnungsvoll“ bezeichnet, Ehemänner waren „treusorgend“, wurden „innig geliebt“ und bleiben „unvergesslich“; als Väter waren sie „herzensgut“. Sind die Toten auch der physischen Präsenz entzogen, bleiben sie emotional den Hinterbliebenen lebendig. Von dieser Haltung zeugt der Vers: „Dem Auge fern, dem Herzen ewig nah“, der fast wortgleich einem Gedicht des Lyrikers Ludwig Jacobowski (1868–1900) entlehnt ist.

Den vielen positiven Zuschreibungen für die Toten und den tröstenden Worten für die Trauernden stehen selten Ausrufe der spürbaren Verzweiflung gegenüber: „Zerstörtes Glück! Trostlos lasst Ihr uns zurück!“ Manche Grabsteine sind derart von Pflanzen überwuchert, dass man die Namen der Verstorbenen nicht mehr lesen kann. Und so trägt mancher Grabstein einen leuchtend gelben Aufkleber, dessen Text so gar nicht zur besinnlichen Atmosphäre des parkartigen Ortes passen will: „Das Nutzungsrecht der Grabstelle ist abgelaufen. Bitte bei der Friedhofsverwaltung vorsprechen.“

Erstmals erschienen am 16. April 2020 auf weddingweiser.de