Unternehmergräber erforschen – Weltkulturerbe retten

Berliner und Brandenburger Friedhöfe, die seit 2020 zum UNESCO-Weltkulturerbe gehören, sind zu Recht eine touristische Attraktion. Sie bieten eine Fülle imposanter Grabanlagen und beeindruckender Mausoleen aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert, und sind aus der Berliner Kulturlandschaft nicht mehr wegzudenken. Zu den großartigsten Beispielen der Hauptstadt zählen der Friedhofkomplex an der Bergmannstraße in Kreuzberg, der Alte-St.-Matthäus-Kirchhof in Schöneberg und der Jüdische Friedhof in Weißensee. Brandenburg bietet insbesondere mit dem Südwestkirchhof in Stahnsdorf eine weitere sehenswerte Begräbnisstätte in der Region.

 

 

 

Grabmalarchitekturen renommierter Baumeister wie Friedrich Hitzig (1811–1881) oder Bruno Schmitz (1858–1916) und Figurenschmuck bedeutender Bildhauer wie Ernst Westphal (1851–1926) oder Matthias C. Schilling (1851–1909) schufen hier beispielhafte Zeugnisse deutscher Kulturgeschichte.

Ungezählte Besucher und Besucherinnen begeistern sich jedes Jahr für die ästhetisch ansprechenden Monumente, für die reichhaltige Ausstattung der Grabstätten und die kontemplative Atmosphäre der parkartig gestalteten Friedhöfe. Sie wollen mehr erfahren über Friedhofsgeschichte, Bestattungsrituale und – selbstverständlich – über die Verstorbenen. Die Friedhöfe der Hauptstadtregion stehen hier im Wettbewerb mit nationalen Begräbnisstätten, zum Beispiel in Hamburg (Ohlsdorf) oder mit der europäischen Konkurrenz, beispielsweise in Paris (Pére Lachais).

Zu den herausragenden Persönlichkeiten einer Epoche zählen Unternehmer, die in der Gesellschaft wegen ihrer wirtschaftlichen Position eine besondere Stellung einnehmen. Von ihrer Macht und ihrem Reichtum können sie jedoch nichts mit ins Grab nehmen. Doch wie ihr Grabmal gestaltet wird, ist für viele bereits zu Lebzeiten eine existenzielle Frage. Das Berlin-Brandenburgische Wirtschaftsarchiv (BBWA) und die Historikerin Dr. Ute Pothmann wollen Grabmale der Wirtschaftsbürger und Industriellen wissenschaftlich erforschen. Aspekte der Sozialgeschichte und Fragestellungen zum Wandel der Mentalität stehen dabei im Vordergrund. Erste Aufgabe des Projektes wird es daher sein, verschüttetes Wissen um die Toten, insbesondere über ihr familiäres, persönliches, kommerzielles und gesellschaftliches Umfeld ins Heute holen und zu fragen, in welcher Weise sich ihre Persönlichkeit, ihre Haltungen und ihre Werte in ihrer letzten Ruhestätte widerspiegeln.

Damit will das BBWA eine Brücke zwischen Vergangenem schaffen, das uns heute fremd erscheint, und eine Verbindung zu Themen herstellen, die die Gesellschaft damals wie heute stark beweg(t)en: Die steinernen Überreste stehen nicht allein, sondern fordern dazu auf, die Verstorbenen in ihrer Zeit kennenzulernen. Der Wandel der demokratischen Teilhabe, die Diskussion um Integration versus Assimilation, mit der sich im 19. Jahrhundert vor allem jüdische Deutsche auseinandersetzen mussten, und die Fragen der Gesellschaftspolitik, die das Verhältnis der Geschlechter und die soziale Ungleichheit behandelten. Diese Themen werden gerahmt von der immerwährenden Hoffnung auf individuelle Freiheit, humanistische Solidarität und zivilisatorischen Fortschritt.