Kolonialismus im Bezirk – Spaziergang durch Lichterfelde

Am Sonntag, dem 24. Oktober 2021 lud der Fachbereich Kultur des Bezirksamtes Steglitz-Zehlendorf zur Führung „Spaziergang in Lichterfelde“ ein. Bei strahlendem Sonnenschein widmeten sich etwa ein Dutzend Interessentinnen – ja, ausschließlich weibliche Spaziergänger hatten sich eingefunden – dem ernsten Thema „Kolonialismus“ und seinen Spuren im Ortsteil Lichterfelde.

Die Tour führte am Kadettenweg entlang: Vom Karlplatz waren es nur wenige Schritte zum vormaligen Wohnhaus des Politikers und Publizisten Eugen Richter (1838-1906) an der Kadettenstraße 35. Danach ging es zum Paulinenplatz und schließlich endete der Spaziergang an der ehemaligen Kadettenanstalt, dem heutigen Bundesarchiv an der Finkensteinallee. Geführt wurde die Gruppe vom versierten Historiker Stefan Zollhauser, der an verschiedenen Standorten mit lebendigen Vorträgen die Zusammenhänge der politischen Diskussionen der Zeit, der wirtschaftlichen Interessen der Kolonialisten und der mentalen Voraussetzungen der brutalen deutschen Kriegsführung in Breite und Tiefe überzeugend vermittelte.

Zu Beginn der Tour gab Zollhauser anhand einer zeitgenössischen Landkarte (Reproduktion) einen ersten geografischen Überblick über den Umfang der deutschen Kolonialbestrebungen in Asien und vor allem in Afrika. Hierbei wurde die immense Diskrepanz zwischen dem kleinen Deutschen Reich und den riesigen afrikanischen Gebieten deutlich, die als Kolonien annektiert wurden. Die heutigen Staaten Namibia („Deutsch-Südwestafrika“), Tansania („Deutsch-Ostafrika“), Kamerun und Togo waren ab 1884 das Ziel deutscher Landnahmen, hatten doch europäische Nachbarstaaten den Kontinent schon weitgehend untereinander aufgeteilt. Mit größter Selbstverständlichkeit beanspruchten Kaufleute, Missionare und Politiker die Kolonien als Rohstoff- und Absatzmärkte und das fruchtbare Siedlungsland für auswanderungswillige Deutsche. Den Einwohnern „Kultur“ zu bringen, war ein weiterer Grund für die koloniale „Mission“. Doch die indigene Bevölkerung wehrte sich gegen den Entzug ihrer Lebensgrundlagen. Ihre Aufstände schlug das deutsche Militär mit größter Härte nieder. So starben in Namibia schätzungsweise 70.000 Herero und Nama (1904-1907). In Tansania fielen im Zuge des Maji-Maji-Aufstandes (1905-1907) gar eine Viertel Million Einwohner einer deutschen Kriegsführung zum Opfer, die Felder vernichtete und Siedlungen niederbrannte. Der Abgeordnete Richter bemängelte nicht nur die kolonialen Bestrebungen des deutschen Staates, weil erhebliche finanzielle Mittel zur Aufrechterhaltung der Herrschaft nötig waren, denen keine nennenswerten wirtschaftlichen Erträge gegenüberstanden. Er kritisierte auch die Vernichtungspolitik gegen die einheimische Bevölkerung.

Paul von Lettow-Vorbeck (1870-1964) war als Leutnant am grausamen Feldzug in Namibia beteiligt. Er gehörte zu den Absolventen der preußischen Hauptkadettenanstalt in Lichterfelde. Teenager lernten hier bedingungslose Kaisertreue, Herrenmenschentum und unbedingten Gehorsam. Sie verließen die Anstalt mit Abitur und Leutnantspatent. Von Lettow-Vorbeck war im Ersten Weltkrieg in Tansania eingesetzt. Sein erbarmungsloses Vorgehen gegen die einheimische Bevölkerung kostete hunderttausende Afrikaner und Afrikanerinnen das Leben. Bis heute wird sein Buch „Heia Safari“, in dem er seine Aktivitäten in Ostafrika verherrlichend beschreibt, in Antiquariaten zu Höchstpreisen angeboten.