„Die Skulptur kenn‘ ich doch?!“

Bei meinen Spaziergängen über Friedhöfe, der Sichtung von Friedhofsführern und meinen Recherchen im Internet halte ich dann und wann inne und stelle fest, dass ich die eine oder andere Skulptur schon mal als Schmuck auf einer anderen Grabstelle gesehen habe. Drei solcher Zwillinge und auch einen Mehrling stelle ich im folgenden Artikel vor.

 

Liegende Verstorbene

Die monumentalen Grabstätten Else von Falkenbergs (1880-1907) auf dem Friedhof der Jerusalems- und Neuen Kirche II am Mehringdamm und Itha Deibels (1906-1927) auf dem Parkfriedhof Lichterfelde unterscheiden sich deutlich in der Architektur, zeigen aber die gleiche Skulptur: Eine junge Frau in einem weiten Gewand, dessen dekorative Faltenwürfe sich üppig bis zur Bodenplatte ergießen. Der berühmte, vom letzten deutschen Kaiser protegierte, Bildhauer Walter Schott (1861-1938) hat die Skulptur geschaffen.

              

Die Grabstätte von Falkenbergs wurde wohl vom Ehemann Felix (1869-1909) in Auftrag gegeben, der hier ebenso begraben liegt wie weitere Familienangehörige, die schon Jahre und sogar Jahrzehnte vor der jungen Else verstarben. Der Tod der noch jüngeren Itha veranlasste die Familie Deibel zur Grabmalbeauftragung. Ithas Eltern und ihre jüngere Schwester sind hier ebenfalls bestattet.

 

Hingelagerte „Genien“

Über dem prächtigen, breiten Wandgrab der Familie des Friedrich Wilhelm Schmidt (1826-1879) auf dem Alten Luisenstädtischen Friedhof an der Bergmannstraße lagern auf dem offenen Portalgiebel zwei Frauenskulpturen. Ebensolche finden sich, in der Literatur auch als „Genien“, also Ahnengeister oder persönliche Schutzgeister, bezeichnet, auf dem Grabmal von Ernst Mielsch (1827-1902) auf dem Alten 12-Apostel-Friedhof an der Kolonnenstraße. Im Unterschied zu den Schmidtschen Genien sind die Frauenskulpturen auf dem Grabmal Mielsch mit unbekleideten Brüsten gestaltet.

     

Stehende Engel

Das Wandgrab der Familie des Brauereibesitzers Wilhelm Bönnhoff (1836-1910) auf dem Alten Luisenstädtischen Friedhof in Kreuzberg ziert eine männliche Engelfigur mit nach links geneigtem Kopf; im langen Haar steckt ein Haarreif. Eine gesenkte Fackel hält der Engel in der rechten und einen Blütenkranz in der linken Hand. Das faltenreiche Gewand mit halblangem Arm wirkt wie ein schwerer, dichter Stoff. Die gleiche Figur schmückt das Grab des jungen Erhard Wandel (1898-1917), der im Ersten Weltkrieg in Frankreich fiel. Die Statue wurde erstmals 1908 anlässlich der Bestattung von Elise Bönnhoff (1855-1908) vom Bildhauer Heinrich Pohlmann (1839-1917) geschaffen und von der Gießerei Martin & Piltzing gegossen.

            

Sehr ähnliche Bekleidung, aber etliche Abweichungen im Detail weisen zwei Engelfiguren, die sich ihrerseits gleichen, vor der Grabwand von Gottlieb Manthey (ⴕ 1891) auf dem Alten 12-Apostel-Friedhof in Schöneberg und vor dem Grabmal des Zimmerermeisters Julius Katsch (1832-1906) auf dem Alten Luisenstädtischen Friedhof auf: Der Kopf der Skulpturen ist leicht nach vorn geneigt, die Kinnpartie wirkt weicher; das Gewand hat lange Ärmel und einen gefältelten Abschluß am Hals. Die Engel halten einen Büschel Rosen mit der linken Hand an ihre Brust gedrückt, mit der rechten lassen sie einige Blüten fallen. Eine weitere Abweichung zum anderen Engelpaar besteht in der unterschiedlichen Standbein-Spielbein-Positionierung. Auch diese Skulpturversion wird dem Bildhauer Pohlmann zugeordnet, den Guss übernahm ebenfalls die Gießerei Martin & Piltzing.

     

 

Stehende Trauernde

Ganz besonders beliebt war eine stehende Figur in trauernder Pose, die ich gleich sechs Mal angetroffen habe. Sie ist das Bildwerk des Düsseldorfer Künstlers Dietrich Meinardus (1804–1871).

Auf dem Friedhof der Jerusalems- und Neuen Kirche III am Mehringdamm ziert die Trauernde das 1904 vom Architekten Wilhelm Sipperling geschaffene Grabmal des seinerzeit international bekannten Baritons Theodor Reichmann (1849-1903). Auch auf dem Alten Luisenstädtischen Friedhof wurde diese Figur von Angehörigen des Schlossermeisters Ernst Franke (1857-1928) und als Schmuck für das wuchtige Wandgrabmal der Familie des Buchhändlers August Bolm (1842-1910) gewählt. Letzterer fehlt leider Kopf und linker Unterarm.

Ihnen gleich taten es die Eheleute August und Martha Weber, deren Grabmal auf dem St. Elisabeth Friedhof im Ortsteil Gesundbrunnen liegt und die Familie Melcher, deren Grabstätte sich auf dem Luisenkirchhof III im Westend befindet. Leichte Abweichungen in der Gestaltung gibt es bei Weber (Frisur, Gesichtszüge) und Franke (Stellung des kleinen Fingers der linken Hand).

                   

Eine weitere seitenverkehrte Version der Skulptur steht vor dem breiten, mehrteiligen Wandgrab der Familie Blumenberg, das man auf dem Alten 12-Apostel-Friedhof bewundern kann und das Rudolf Comichau kreiert hat. Die Blumenbergsche Figur hält einen Blütenkranz in der Hand, ebenso wie die Figuren an den Gräbern von Melcher und Weber; die Skulptur bei den Frankes muss sich mit einem Blütenzweig begnügen. Die Trauernde am Grabe Reichsmanns hingegen hält einen Gegenstand, der vielleicht eine kleine Sense sein könnte oder eine zerbrochene Handharfe.

Der Frauenfigur des Meinardus‘ recht ähnlich sieht, zumindest was Arm- und Beinhaltung angeht, die Frauenfigur am Urnengemeinschaftsfeld auf dem Parkfriedhof Lichterfelde. Sie trägt jedoch eine andere Frisur und ist auch nicht so zartgliedrig gefertigt wie ihre „Cousinen“, deren Gewänder zudem einen deutlich aufwendigeren Faltenwurf zeigen. Stilistisch verwandt ist auch die in der Haltung etwas exaltiert wirkende Frauenskulptur an der Grabstätte der Familie Thater (Dorotheenstädtischer Friedhof II).

       

 

Fotos, Quellen, Literatur

Bildhauer Dietrich Meinardus:  https://de.wikipedia.org/wiki/Dietrich_Meinardus

Foto Bolm: Frank K. 2009, https://de.findagrave.com/memorial/44321389/august-bolm

Foto Bönnhoff: http://www.s340752606.online.de/stiftung_alt/friedhof/k_berg/bergmannstrasse/altluisen.htm      http://geneal.lemmel.at/Bnhf-39e.html

Foto Franke: Autor: Mutter Erde, 2006, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Grave-Ernst_Franke_1928.jpg

Genius: https://de.wikipedia.org/wiki/Genius

Foto Katsch: http://www.s340752606.online.de/stiftung_alt/friedhof/k_berg/bergmannstrasse/Bilder/AltLuise/Galerie/images/aluiKatsch0510.jpg

Fotos Melcher, Weber: Autor: Axel Mauruszat, 2009, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Luisenfriedhof_III_-_Grab_Melcher,_Skulptur.jpg?uselang=de https://commons.wikimedia.org/wiki/File:St._Elisabeth-Friedhof_Trauernde.jpg?uselang=de

Foto Reichmann: https://de.wikipedia.org/wiki/Theodor_Reichmann; Jörg Zägel – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=77664938

Schmidt: http://www.s340752606.online.de/stiftung_alt/friedhof/k_berg/bergmannstrasse/altluisentxt.htm

Fotos Blumenberg, Deibel, Manthey, Schmidt, Urnengemeinschaftsgrab, von Falkenberg, Wandel, Thater: Pothmann.

Bloch, Peter: Grabmäler in Berlin II, Exempel: Der Luisenstädtische Kirchhof in Kreuzberg, Berlin 1978, Katsch, S. 50; Bönnhoff, S. 51f; Bolm/Franke, S. 64; Schmidt, S. 86-88.

Bloch, Peter; Scherhag, Ludwig: Grabmäler in Berlin III, Exempel: Die Kirchhöfe des 18. Jahrhunderts vor dem Halleschen Tor, Grabmal Else von Falckenbergs, unter dem Namen der hier ebenfalls bestatteten Clara von Einsiedel, S. 109-111.

Lehnert, Ute: Den Toten eine Stimme, Berlin 1996, Parkfriedhof Lichterfelde, Urnengemeinschaftsgrab, S. 29-31, Grabmale: Deibel, S. 73f; Wandel, S. 212f.

Mende, Hans-Jürgen: Alter 12-Apostel-Friedhof, Berlin 2007, Grabmale Manthey, S. 22; Mielsch, S. 38f, von dort stammt auch das Foto; Blumenberg, S. 59.

Paffen, Debora; Mende Hans-Jürgen: Die Friedhöfe vor dem Halleschen Tor, Teil I, Berlin 2003, Grabmal Reichmann, S. 40.

Paffen, Debora; Mende Hans-Jürgen: Die Friedhöfe vor dem Halleschen Tor, Teil II, Berlin 2003, Grabmal von Falkenberg, S. 54f.