Erotische Skulpturen auf Berliner Friedhöfen

Die Verbindung von Eros, dem Gott der körperlichen Liebe, und Thanatos, dem Gott des Todes, ist ein beliebtes Thema in der Kunst. Auch auf Berliner-Brandenburger Friedhöfen finden sich Figuren und Reliefs, vorrangig Frauen darstellend, die man als Schmuck auf Grabstätten nicht unbedingt erwartet hätte. Mit diesem Beitrag präsentiere ich einige Kunstwerke, die auf verschiedenen Friedhöfen in Berlin und Potsdam zu sehen sind. Eine Liste der abgebildeten Skulpturen beschließt den Artikel.

 

 

 

 

Mit großer künstlerischer Fertigkeit sind Skulpturen in Stein oder Metall entstanden, die den weiblichen Körper mit nackten Armen und Schultern, kaum verhüllt oder auch hüllenlos zeigen. Schwellende Brüste, nackte kräftige Beine, ein gewölbter Bauch sind zu sehen. Und durch eine zarte Verhüllung treten die weiblichen Körper bisweilen noch erotisierender hervor, ob in barocker Fleischeslust oder ätherischer Zartheit.

           

Die voll ausgebildeten Skulpturen und auch die Reliefs zeigen die Frauenfiguren stehend oder sitzend, liegend oder kniend und sogar fliegend. Die Posen der Figuren wirken trauernd oder träumend, schlafend oder sehnend. Die Köpfe sind mal in gesenkter, mal in erhobener Form modelliert, die Augen sind geschlossen oder geöffnet. Die Mimik ist vielfach eher verhalten.

               

Bei einer Skulptur ist dies anders – der Trauernden mit Lyra (Grabmal Kiehnapfel, Bildhauer: Hermann J. Pagels 1876-1959). Sie zeigt zugleich, dass Nacktheit nicht vorrangig Erotik ausstrahlen muss. Die Dynamik ihrer Bewegung macht den großen Schmerz über den Verlust des geliebten Menschen körperlich spürbar.

    

Von Verzweiflung geradezu überwältigt erscheint auch die einzige liegend dargestellte Figur mit einer zur Kralle verkrampften rechten Hand; ihr Gesicht ist in ihren Armen verborgen (Grabmal Melchior Schwoon).

Den gleichen Geschmack in Sachen Skulptur hatten die Berliner Familien Brehme/Michel im nördlichen Stadtteil Gesundbrunnen und Goerlitz im südlichen Lichterfelde (Bildhauer: Hans Dammann 1867-1942). Einmal in  Galvanotechnik hergestellt, das andere Mal aus Stein errichtet, trauert eine junge Frau den Verblichenen nach. Wie anderen Figuren auch sind ihr als ein beliebtes Trauerattribut Rosenzweig und Lorbeerkranz beigegeben.

          

Zwei weitere, ausnehmend schöne Frauenskulpturen finden sich in Wilmersdorf und in Tempelhof. Die Bildhauerin Lilli Wislicenus-Finzelberg (1872-1939) gestaltete für ihre Mutter Charlotte (1843–1908) eine zarte Frauenfigur voller Anmut. Für die Familie Scheck schuf der Bildhauer Martin Schauß (1867-1927) im Jahr 1899 einen sinnenden mädchenhaften Engel.

     

 

Liste der abgebildeten Skulpturen/Grabmale
Brehme/Michel – Gesundbrunnen, Friedhof St. Elisabeth II.

Goerlitz und Kiehnapfel – Lichterfelde, Parkfriedhof.

Otto Blumenberg (Titelbild), Otto und Martha Speck (Relief mit weiblichem Engel und Frau), Genremaler Robert Warthmüller 1859-1895 (weiblicher Engel mit Palette, Bildhauer: Ernst Herter), Wilhelm Fischer 1855-1908 (Frau mit Kranz in linker Hand), Carl Matthesius 1848-1900 (Frau mit Kranz in rechter Hand) – Schöneberg, Alter 12-Apostel-Friedhof.

Melchior, Margarete und Herta Schwoon (weibliche Figur, liegend) – Westend, Luisenkirchhof II.

Mahlerin (stehende Figur an Säule gelehnt mit Medaillon, dass die Verstorbene zeigt) – Bornstedt, Potsdam.

Wislicenus-Finzelberg – Wilmersdorf, Friedhof Wilmersdorf, Berliner Straße.

Scheck – Tempelhof, St. Matthäus-Friedhof, Röblingstraße.

 

Dieser Artikel wurde zuerst am 9. März 2022 auf dieser Website veröffentlicht und erscheint nun in einer überarbeiteteten Version.

Fotos: Ute Pothmann

Foto Scheck: Eberhard Brockmann

 

Literatur/Quellen

Christine Behrens: Schönheit und Erotik auf dem Ohlsdorfer Friedhof, in: OHLSDORF – Zeitschrift für Trauerkultur, 85, II, Mai 2004.

Norbert Fischer; Sylvina Zander: Tod, Trauer und Weiblichkeit in der Grabmalkultur vom späten 18. bis frühen 20. Jahrhundert (Teil I), in: OHLSDORF – Zeitschrift für Trauerkultur, Nr. 85, II, Mai 2004.

Norbert Fischer; Sylvina Zander: Tod, Trauer und Weiblichkeit in der Grabmalkultur vom späten 18. bis frühen 20. Jahrhundert (Teil II), in: OHLSDORF – Zeitschrift für Trauerkultur, Nr. 86, III, August 2004.

Norbert Fischer: Tod, Trauer und Eros im bürgerlichen Zeitalter: Die Grabfigur der Trauernden, in: Alexandra Lutz (Hrsg.): Geschlechterbeziehungen in der Neuzeit – Studien aus dem norddeutschen Raum. Neumünster 2005, S. 179 – 191.

Ute Lehnert: Den Toten eine Stimme. Der Parkfriedhof Lichterfelde, Berlin 1996, S. 96-98 (Goerlitz), S.124f (Kiehnapfel).

Hans-Jürgen Mende: Alter Zwölf-Apostel-Friedhof, Berlin 2007, S. 9 (Fischer), 14 (Warthmüller), 17 (Matthesius), 59 (Blumenberg).

Lilli Wislicenus-Finzelberg

Martin Schauss

Friedhof der St. Matthias Gemeinde

 

Hinweis: Ausstellung zu Fotografien von Frauendarstellungen auf französischen Friedhöfen: „Zwischen ewiger Jugend und Vergänglichkeit“, Dauer: 7.3.-30.4.2022, Haus der Demokratie und Menschenrechte, Greifswalder Straße 4, 10405 Berlin. https://www.stadtrand-nachrichten.de/erotische-skulpturen-friedhof/