Der Urnenhain im Antonkiez

An der Gerichtstraße 37-38 liegt ein Friedhof. Er zeichnet sich durch mehrere Besonderheiten aus: Die Stadt Berlin hat ihn 1828 als ersten städtischen Friedhof anlegen lassen. Gut achtzig Jahre später, 1909/1910, wurde auf dem Gelände das erste Krematorium Berlins errichtet. Daher gibt es hier keine Begräbnisstätten mit wuchtigen Grabsteinen und gewaltigen Wandgräbern, wie man sie von Friedhöfen für Erdbestattungen kennt.

 

 

 

Auf diesem Friedhof wurden noch vor dem Ersten Weltkrieg Feuerbestattungen vorgenommen. Über den Gräbern ließen die Angehörigen der Toten schmale, quadratische Stelen errichten, die die Namen und Lebensdaten der Verstorbenen tragen. Die Stelen sind zugleich die Sockel für zahlreiche, steinerne Schmuckurnen, die auf den Postamenten stehen. Und diese Urnen machen einen Spaziergang über das baumreiche Gelände, zu dem unsere Autorin Ute Pothmann einlädt, zu einem ganz besonderen Erlebnis. Denn der Gestaltungsreichtum der kleinen und mittelgroßen Skulpturen ist enorm.

Großer Gestaltungsreichtum kleiner Skulpturen

Dabei besteht eine Schmuckurne eigentlich nur aus drei Teilen: dem Urnenkörper in der Mitte, dem Fuß unten und dem Urnendeckel oben; manche Urnen kommen sogar ganz ohne Fuß aus. Die kleineren Urnen sind aus einem einzigen Stein gefertigt, die größeren Urnen wurden aus mehreren Teilen zusammengesetzt – der Mörtel zwischen Fuß und Urnenkörper oder zwischen Körper und Urnendeckel ist deutlich sichtbar. Die meisten Urnen stehen frei im Raum. Vereinzelt wurden für Urnen kleine Umbauten gefertigt oder sie wurden in Nischen größerer Grabanlagen gestellt. Fast alle Urnen sind gerundet und glatt, nur wenige haben eine eckige oder Kugelform oder sind poliert. Die beiden Grundformen der Urnenkörper sind die eines Kelches mit breiterem Boden und gerade nach oben strebenden Wänden und die einer Vase mit kleiner, runder Grundfläche, deren Wände sich nach oben hin verbreitern. Die Urnen zeigen vielfältige, leichte Abwandlungen dieser beiden Grundformen. Manche Urnen sind eher oval, manche eiformig, manche Urnen haben eine gedrungene, kompakte Gestalt, andere sind sehr schlank und streben in die Höhe.

Urnenkörper, Fuß und Deckel

Die meisten Urnen wirken allein durch ihre Form, nur wenige sind mit floralen Ornamenten, geometrischen Formen oder einem umlaufenden Rippendekor verziert. Einzelne Exemplare haben Henkel in gerader oder geschwungener Form, die die Urne wie eine Amphore aussehen lassen. Der Fuß einer Urne ist selten spektakulär gestaltet. Auf der Basis einer fast immer runden, selten mehreckigen, vereinzelt gewölbten, Platte, verjüngt er sich zum Boden des Urnenkörpers. Nur bei einzelnen Exemplaren sind bei den Füßen mehrere Zonen eindeutig erkennbar. Zwischen Fuß und Sockel ist gelegentlich ein rechteckiger Untersatz positioniert.

Die Deckel der Urnen sind hingegen vielgestaltig ausgearbeitet: Es gibt sie mal flach, mal gewölbt oder spitz zulaufend und in der Version ohne oder mit zusätzlichem Knauf, der bisweilen die Form einer Knospe hat. Vielfach sind die Deckel mehrzonig gestaltet bis hin zur zylindrischen Form einer kleinen Laterne; bisweilen betont ein wulstiger Kranz den Übergang vom Urnenkörper zum Deckel.

Wenn auch die Verwitterungsspuren mancher Urnen das Aussehen poröser Knochen haben und so die Endlichkeit menschlichen Lebens vor Augen führen, bleibt der kleine Skulpturenpark jedem, der ihn besucht, in angenehmer Erinnerung.

Erstmals erschienen am 16. August 2020 auf weddingweiser.de